Ade Ahorn? Welche Straßenbäume den Klimawandel überleben

Kühlere Sommer und saubere Luft: Bäume verschönern das Leben in einer Stadt. Aber Straßenstress und der Klimawandel setzen ihnen immer mehr zu. Einige liebgewonnene Arten wie der Spitzahorn könnten wegen der Hitze aus den Straßen verschwinden.

Welche Bäume haben Zukunft?

Es braucht vier ausgewachsene Männer, um einen Wiener Stadtbaum zu pflanzen. Sie setzen das Gewächs behutsam in eine Erdmulde des Sankt Marxer Friedhofs. "Wenn wir gut drauf sind, pflanzen wir 15 Stück am Tag", erzählt ein Arbeiter, während er mit Schweißperlen auf der Stirn frische Erde auf den Wurzelballen schaufelt. Ein Kollege hämmert mit aller Kraft auf einen Pfeiler ein, der dem hageren Baum Stabilität geben soll. Nach ungefähr fünf Jahren benötigt der Baum die Stützen nicht mehr. Dann ist sein Wurzelballen fest im Boden verankert.

Rund 4500 Bäume pflanzt die Stadt Wien jedes Jahr. Eine Baumschule in Mauerbach zieht sie heran. Nach spätestens zehn Jahren sind die jungen Bäume robust genug für einen Wiener Park oder den Straßenraum und können eingepflanzt werden. Junge Bäume schützt ein weißer Anstrich vor "Sonnenbrand", erklärt Karl Hawliczek. Er ist Leiter des Bereichs städtische Grünflächen bei der MA 42. 

In der Stadt erfüllen Bäume wichtige Funktionen – auch Ökosystemdienstleistungen genannt: Sie sorgen für saubere Luft, spenden Schatten und kühlen ihre Umgebung. Jedoch haben sie es nicht gerade leicht. Stetig sind sie Autoabgasen ausgesetzt, ihre Wurzeln können nicht frei wachsen. Hunde pinkeln sie an, und ihr Urin hinterlässt eine Säure, die Pilze begünstigt, was dem Baum schadet. Der Klimawandel verstärkt den Stress der Stadtbäume – denn die heißen und trockenen Tage häufen sich. Nicht alle Arten, die derzeit wachsen, vertragen die Hitze im Sommer.

Wie gehen die Stadtbäume mit den widrigen Bedingungen um? Welche überleben den Klimawandel? Und wer profitiert eigentlich am meisten vom Grün in der Stadt?

Nur gesunde Bäume können ihren Nutzen vollständig entfalten, erklärt Ingenieurbiologin Rosemarie Stangl von der Universität für Bodenkultur Wien. Gerade wenn sie nahe an der Straße stehen, sind sie großem Stress ausgesetzt. Feinstaub von vorbeifahrenden Autos setzt sich an den Blättern ab. Dabei filtert der Baum zwar die umliegende Luft, allerdings können die Schadstoffe die Spaltöffnungen der Blätter auch verkleben. Diese sind für die Transpiration und damit für den Kühlungseffekt verantwortlich.

Außerdem gelangt über die Spaltöffnungen Kohlenstoffdioxid in die Pflanze, den sie für die Fotosynthese benötigt. Feinstaub kann also die Photosynthese und damit die Sauerstoffproduktion eines Straßenbaumes beeinträchtigen.

Ein weiterer Stressfaktor für Straßenbäume: Ihre Wurzeln sind häufig eingequetscht. Oft greifen Bauarbeiten in den verfügbaren Wurzelraum ein, meint Stangl. Zusätzlich haben junge Bäume meist zu wenig Platz, sich vollständig zu entwickeln. "Die Stadt ist kein natürlicher Standort für einen Baum", betont Stangl. In Wäldern durchwurzelt ein Baum locker drei bis vier Meter – abhängig von der Baumart. Dagegen sei in Städten oft nur ein Meter Wurzeltiefe vorhanden. Die Folge: Stadtbäume erschließen sich andere Wege im Versuch, ihre Wurzeln zu entfalten. Sie graben sich an Rohrleitungen entlang und versuchen manchmal sogar, Wasser aus dem Kanal zu saugen. "Das ist die Konsequenz von der Raumkonkurrenz", erklärt Stangl.

Der Stress beeinflusst die Lebenserwartung der Bäume auf negative Weise. Während ein Parkbaum mit mehreren Hundert Jahren rechnen kann, überlebt ein Straßenbaum nur 50 bis 70 Jahre. Dann ersetzen ihn die Wiener Stadtgärten durch einen Jüngling

Nur gesunde Bäume können ihren Nutzen vollständig entfalten, erklärt Ingenieurbiologin Rosemarie Stangl von der Universität für Bodenkultur Wien. Gerade wenn sie nahe an der Straße stehen, sind sie großem Stress ausgesetzt. Feinstaub von vorbeifahrenden Autos setzt sich an den Blättern ab. Dabei filtert der Baum zwar die umliegende Luft, allerdings können die Schadstoffe die Spaltöffnungen der Blätter auch verkleben. Diese sind für die Transpiration und damit für den Kühlungseffekt verantwortlich.

Außerdem gelangt über die Spaltöffnungen Kohlenstoffdioxid in die Pflanze, den sie für die Fotosynthese benötigt. Feinstaub kann also die Photosynthese und damit die Sauerstoffproduktion eines Straßenbaumes beeinträchtigen.

Ein weiterer Stressfaktor für Straßenbäume: Ihre Wurzeln sind häufig eingequetscht. Oft greifen Bauarbeiten in den verfügbaren Wurzelraum ein, meint Stangl. Zusätzlich haben junge Bäume meist zu wenig Platz, sich vollständig zu entwickeln. "Die Stadt ist kein natürlicher Standort für einen Baum", betont Stangl. In Wäldern durchwurzelt ein Baum locker drei bis vier Meter – abhängig von der Baumart. Dagegen sei in Städten oft nur ein Meter Wurzeltiefe vorhanden. Die Folge: Stadtbäume erschließen sich andere Wege im Versuch, ihre Wurzeln zu entfalten. Sie graben sich an Rohrleitungen entlang und versuchen manchmal sogar, Wasser aus dem Kanal zu saugen. "Das ist die Konsequenz von der Raumkonkurrenz", erklärt Stangl.

Der Stress beeinflusst die Lebenserwartung der Bäume auf negative Weise. Während ein Parkbaum mit mehreren Hundert Jahren rechnen kann, überlebt ein Straßenbaum nur 50 bis 70 Jahre. Dann ersetzen ihn die Wiener Stadtgärten durch einen Jüngling

n.Martin Winhofer leitet die Baumpflege bei den Wiener Stadtgärten.

n.Martin Winhofer leitet die Baumpflege bei den Wiener Stadtgärten.

Ob es schon so weit ist, stellt sich bei einer Kontrolle heraus. Jeden Baum prüfen die Wiener Stadtgärten einmal im Jahr insbesondere auf seine Verkehrssicherheit. Wichtig sei, die Krone zu kürzen und Totholz zu entfernen, sagt Martin Winhofer, Leiter der Baumpflege bei den Wiener Stadtgärten. Würden Bäume zu stark in die Straße hineinwachsen, könnten Lkws sie streifen.

Auf einem kranartigen Gefährt sägt ein Arbeiter in schwindelerregender Höhe alte Äste aus der Linde. Zuvor hat das Pflegekomitee den ganzen Fahrstreifen abgesperrt, um keine Autos zu beschädigen. Sich um alle Bäume zu kümmern ist “extrem viel Arbeitsaufwand”, sagt Winhofer.

An einem sonnigen Montagmorgen steht Winhofer auf dem Grünstreifen einer zweispurigen Straße. Dort geht es gerade einer Kaiserlinde an den Kragen. Sie ziert eine schüttere Krone mit löchrigem Blätterdach. Der Baum ist "nicht vital", wie es der ausgebildete Gärtner umschreibt.

Bernhard Wolff ist Landschaftsplaner und Baumexperte.

Bernhard Wolff ist Landschaftsplaner und Baumexperte.

Manchmal gibt es aber auch nichts mehr zu retten.

“Man hat sich damit abgefunden, dass Stadtbäume 30 bis maximal 40 Jahre alt werden”,

sagt Landschaftsplaner Bernhard Wolff. Gemeinsam mit dem STANDARD spaziert er über den Wiener Parkring. Damit Bäume länger überleben könnten, müssten die Baumscheiben größer sein, erklärt er. Im Idealfall beträgt der Wurzelraum 35 Kubikmeter. Wolff zeigt auf einen schlanken Baum mit rosa Blüten am Wiener Burgring: "Diese Tamariske hat nur zwölf Kubikmeter." Also weniger als halb so viel, wie optimal wäre. 

Von der Baumscheibe hängt ab, wie viel Platz der Baum hat, um sich zu entfalten. Mit ihr entscheidet sich, wie groß der Stadtbaum einmal wird, und damit auch sein Kühlungseffekt und die Sauerstoffproduktion.

Wolff führt durch eine Allee aus Ahornbäumen am Ring. Spitz- und Bergahorn zählen neben der Rosskastanie zu den häufigsten Baumarten in Wien. Aus dem Stadtbild sind sie kaum wegzudenken. Das könnte sich jedoch in Zukunft ändern, meint der Experte:

"Über kurz oder lang werden sie aus dem Straßenraum verschwinden",

prophezeit er. Die beiden Ahornarten seien hitzeempfindlich, können den steigenden Temperaturen nur schlecht standhalten. "Sie schaffen den Klimawandel nicht." Das Gleiche gilt für einige andere heimische Baumarten wie die Winter- und die Sommerlinde. An ihrer Stelle pflanzt die Stadt Wien nun mehr klimaresistente Arten.

Getty Images

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Vor einem jungen Zürgelbaum bleibt Wolff stehen: "Das ist der Zukunftsbaum." Der Baum mit den ovalen Blättern bevorzugt warme und sonnige Standorte, verträgt Trockenheit. Für gewöhnlich gedeiht er in der Türkei und Nordafrika, und jetzt wohl auch in Wien. Am Ring soll er alle abgestorbenen Ahornbäume ersetzen.

Das Problem dabei: Der Zürgelbaum kann zwar besser als Spitz- und Bergahorn mit Hitze umgehen. Allerdings schließt er dabei die Spaltöffnungen an seinen Blättern früher. Dadurch verliert er bei Hochtemperaturen zwar weniger Wasser, kühlt aber die Umgebung auch schlechter als die Ahorne.

Der geringere Kühlungseffekt ist nicht Wolffs einzige Sorge bei Bäumen, die anderswo herkommen. Heimische Baumarten gehen Symbiosen mit Tieren ein. Daher kann es "zu ökologischen Verschiebungen kommen", wenn fremde Baumarten die beheimateten ersetzen, vermutet Wolff. Trotzdem glaubt er, dass kein Weg an den klimaresistenten Bäumen vorbeiführe: "Wir brauchen Bäume, die überleben."

Bei dem neuen Baum am Friedhof Sankt Marx handelt es sich um eine Silberlinde mit dem abenteuerlich anmutenden Sortennamen Brabant. Sie kommt vom Balkan und ist trockenresistenter als heimische Arten.2

Auch andere Fremdlinge wie die chinesische Zelkove und die ebenfalls in Asien beheimatete Resista-Ulme erfreuen sich als klimafitte Straßenbäume immer größerer Beliebtheit. Die Zelkove ist eine kräftige Baumart mit runder Krone. Ihre Äste bilden sich bereits weit unten am Stamm. Bei der Resista-Ulme handelt es sich um eine klimarobuste Züchtung mit trichterförmiger Krone. Vielleicht prägen beide Bäume irgendwann das Stadtbild anstelle von Ahorn und Kastanie.

Doch braucht es in Zukunft nicht nur andere Bäume, sondern auch mehr, damit die beißende Sommerhitze in den Straßen erträglich ist.

Derzeit entsteht viel Grün vor allem in neuen Siedlungen, weiß Thomas Thaler vom Institut für Landschaftsplanung der Boku Wien, zum Beispiel im Sonnwendviertel im zehnten Bezirk oder im Nordbahnviertel im zweiten. In neuen Vierteln zusätzliche Fläche für Bäume zu erschließen sei leichter als in älteren, sagt Thaler. "Man kann ja nicht einfach Häuser abreißen." Wenn Straßen umgebaut werden, beispielsweise weil Fernwärme verlegt wird, gäbe es ein "Momentum": Dann wird Platz für neue Baumscheiben geschaffen.

Karl Hawliczek (rechts) ist bei den Wiener Stadtgärten (MA 42) für die städtischen Grünflächen zuständig. Hier am Bild ist der mit Mitarbeitern der MA 42 zu sehen. 

Karl Hawliczek (rechts) ist bei den Wiener Stadtgärten (MA 42) für die städtischen Grünflächen zuständig. Hier am Bild ist der mit Mitarbeitern der MA 42 zu sehen. 

Im internationalen Vergleich hat Wien jedoch bereits viel Grün, sagt Thaler. 50.000 Bäume wachsen derzeit in der Stadt. Allerdings sind sie recht ungleich über die Bezirke verteilt. Das zeigen auch Datenvisualisierungen: Die Innenstadtbezirke, innerhalb des Gürtels sind eher grau, weil sich dort ein Haus an das andere reiht. Sie lassen wenig Platz für Bäume oder größere Parks.

Das Phänomen der sogenannten Green Gentrification, das in vielen großen Städten zu beobachten ist, meint Thaler, gebe es in Wien derzeit noch nicht. Dabei schießen in jenen Teilen der Stadt, die besonders grün sind, auch die Miet- und Kaufpreise in die Höhe. Menschen mit geringem Einkommen können sich das Wohnen dort dann häufig nicht mehr leisten und ziehen weg. "Der viele soziale Wohnbau dämpft diesen Verdrängungseffekt massiv." 

Anders als etwa in Paris oder London sei es in Wien nicht so, dass finanziell schlechtergestellte Viertel "keine Grünflächen haben und reichere ganz viele", erklärt Thaler – aber das könne sich in den nächsten Jahrzehnten ändern.

Getty Images/iStockphoto | goce

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Derzeit werde bei der Wohnungssuche vor allem darauf geachtet, dass es Kindergärten, Schulen und Supermärkte in der Nähe gibt. Klettern jedoch die Temperaturen weiter in die Höhe und kommt es im Sommer zu immer mehr Tropennächten, könnten Wohnungssuchende vor allem auf eines schauen: möglichst viel Grün in der Umgebung.

Gerade für Menschen mit geringem Einkommen sei es wichtig, Bäume und anderes Grün in unmittelbarer Nähe zu haben. Sie hätten weniger Gelegenheit, der heißen Stadt zu entfliehen.

"Der Klimawandel wartet nicht",

sagt Experte Thaler. Die Stadt wird heißer werden, sie muss auch grüner werden", und zwar in rascherem Tempo als bisher. Das Hindernis: Gleichzeitig braucht es mehr Wohnungen, Fahrradwege oder Parkplätze für eine wachsende Bevölkerung. Einen "Nutzungskonflikt" nennt Thaler das.

Doch es gibt viele gute Gründe, warum die Bäume nicht zu kurz kommen sollten. Sie kühlen nicht nur und spenden Schatten, sondern wirken auch beruhigend. In Städten mit mehr Bäumen seien die Bewohnerinnen und Bewohner nachweislich zufriedener. "Menschen fühlen sich wohl unter Bäumen."

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Jetzt anhören: Thomas Thaler, Experte für Landschaftsplanung, über gerechte Begrünung in einer Stadt

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